Abstract
Einer der wichtigsten Parameter zur Abschätzung des aktuellen
Aktivitätszustandes eines Vulkans ist seine Seismizität.
Auch am Hochrisiko-Vulkan Merapi (Java Indonesien), der im Rahmen
des deutsch indonesischen Gemeinschaftsprojektes MERAPI interdisziplinär
untersucht wird, zeigt sich vor vielen explosiven Eruptionen ein
deutlicher Anstieg der seismischen Aktivität. Welche physikalischen
Mechanismen in der Herdregion die verschiedenen beobachteten seismischen
Signale erzeugen ist aber noch grö\unverstanden.
Ein Hauptproblem liegt darin, dass über die seismischen Eigenschaften
des Untergrundes, in dem sich die Signale nach der Entstehung im
Herd ausbreiten, nur wenig bekannt ist. Hierdurch ist es äu\ßerst
schwierig, die Quelleffekte von den später entstandenen Ausbreitungseffekten
zu trennen. Um dieses Problem zu lösen wurde am Vulkan Merapi
die seismische Untergrundstruktur mit Hilfe eines aktiven seismischen
Experiments untersucht. Die Signale der künstlichen Quellen wurden
in einer Entfernung von 4 m mit Hilfe eines Abriss-Seismometers registriert.
Somit ist in diesem Fall das Herdsignal bekannt und die reinen Ausbreitungseffekte
können studiert werden. Drei 3 km lange seismische Profile, bestehend
aus jeweils bis zu 30 3-Komponenten Seismometern mit einem Stationsabstand
von 100 m, wurden im Höhenbereich zwischen 1000 und 2000 m über
NN radial zum Gipfel aufgebaut. Als seismische Quellen dienten 2.5-l-Luftpulser,
die in drei Wasserbecken an unterschiedlichen Flanken des Vulkans
in 5 km Entfernung vom Gipfel geschossen wurden. Diese spezielle
seismische Quelle erzeugt ein wohldefiniertes und impulsförmiges
Quellsignal mit hoher Reproduzierbarkeit. Wiederholte Schüsse
wurden im Abstand von ca. 2 min abgegeben, sodass bis zu 100 Registrierungen
zur Stapelung zur Verfügung standen. Aus den registrierten Seismogrammen
lässt sich auf zwei wesentliche Merkmale des Untergrundes zurückschlie\ßen:
Erstens existiert eine oberflächennahe seismische Niedergeschwindigkeitszone
und zweitens führen kontrastreiche kleinräumige Fluktuationen
der P- und S-Geschwindigkeit sowie der Dichte zu starker Streuung
der seismischen Wellen. Die oberflächennahe Niedergeschwindigkeitszone
zeigt sich an allen drei Profilen und wird mit Hilfe der direkten
P Welle nachgewiesen. Die gemessenen Laufzeitkurven des Ersteinsatzes
an den 3 quellnahen Profilen werden durch Refraktionsmethoden in
lokal gültige 1D-Geschwindigkeitsmodelle invertiert. Hiernach
beträgt die P-Geschwindigkeit ca. 0.8 km/s an der Oberfläche
und steigt auf ca. 3.0 km/s in 200 m Tiefe an. Der Stratovulkan Merapi
baut sich aus kleinräumig sehr schnell variierenden Materialien
auf. Einerseits wechseln sich unterschiedliche Schichten wie z. B.
die Ablagerungen von pyroklastischen Strömen und Lahars oder
Aschelagen ab. Andererseits liegt aber keine einfache 1D-Schichtung
vor, da die pyroklastischen Ströme selbst wieder aus feiner Asche
und bis zu metergro\Gesteinsblöcken zusammengesetzt sind
und die starke Topographie zu einer unregelmä\verteilten
Ablagerung führt. Diese geologisch beobachteten Inhomogenitäten
haben einen entscheidenen Einfluss auf die seismischen Signale. Die
direkten Wellen werden stark gedämpft. Hierdurch sinkt die Amplitude
der P-Welle bereits nach wenigen Kilometern unter das Rauschniveau
ab. Die Messung des Qualitätsfaktors ergibt für die P-Welle
QP \~ 11-20. Eine kohärente S-Welle kann an einem der drei
Profile bis in eine Entfernung von ca. 900 m beobachtet werden, während
an den beiden anderen Profilen gar keine S-Wellen erkennbar sind.
Die Energie, die der direkten Welle verloren geht, wird aber nicht
wie bei der intrinsischen Dämpfung in andere Energieformen umgewandelt,
sondern tritt in Form von seismischen Streuwellen im späten Teil
des Seismogramms wieder auf. Ab dem direkten P-Einsatz steigt die
Energie in den registrierten Seismogrammen langsam und stetig bis
auf ein gegenüber den direkten Wellen weit nach hinten verschobenes
Maximum an. Die beobachtete Seismogrammeinhüllende wird mit Hilfe
des Diffusionsmodells erklärt. Nach diesem Modell existieren
so zahlreiche und starke Inhomogenitäten, dass die direkten Wellen
vernachlässigt werden können und nahezu alle Energie in Form
von vielfach gestreuten Wellen vorliegt. Hierbei kann der Ausbreitungsweg
der Streuwellen wie bei der Dif fusion von Gasen durch einen Random
Walk beschrieben werden. Neben der Seismogrammeinhüllenden deuten
auch die Kohärenz- und Polarisationseigenschaften des Wellenfeldes
auf Streueffekte hin. Nur der direkte P-Einsatz zeigt die erwartete
Kohärenz über den Stationsabstand von 100 m. Die späteren
energiereichen Phasen hingegen sind überwiegend inkohärent.
Die Polarisationsanalyse zeigt, dass die Wellen nahezu aus beliebigem
Azimuth am Empfänger eintreffen. Als Resultat der Inversion mit
dem Diffusionsmodell ergeben sich S-Wellen Qualitätsfaktoren
QSs für die Streudämpfung, die je nach Frequenz zwischen
1.3 und 11 liegen, während die Qualitätsfaktoren QSi für
die intrinsische Dämpfung 68 bis 288 betragen. Die Dämpfung
der direkten Wellen wird hiernach nahezu ausschlie\durch
Streuung verursacht, während die intrinsische Dämpfung vernachlässigt
werden kann. Der Wert für die mittlere freie Weglänge 1/etas
der S-Wellen liegt bei 100 m. Dies bedeutet, dass bereits ab wenigen
hundert Metern Entfernung von der Quelle Mehrfachstreuung auftritt.
Der Streudämpfungskoeffizient etas ist an allen 3 Profilen nahezu
frequenzunabhängig, während der intrinsische Dämpfungskoeffizient
etai mit steigender Frequenz zunimmt. Auch die natürliche Seismizität
des Merapi zeigt ähnliche Charakteristika. Ein Ersteinsatz ist
nur schwer zu erkennen und das Maximum der Energie ist deutlich gegenüber
dem Ersteinsatz nach hinten verschoben. In der Arbeit wird gezeigt,
dass sich eine bestimmte Klasse von Ereignissen trotz komplizierter
beobachteter Seismogramme möglicherweise durch eine einfache,
impulsartige Quelle erklären lässt, wenn ein stark streuendes
Ausbreitungsmedium angenommen wird.
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