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Ein 'Jahr der Innovation' auch für die Gentechnik?

. forschung - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, (2004)

Abstract

Der Bundeskanzler hat 2004 zum "Jahr der Innovation" ausgerufen. Zudem wird derzeit nicht nur in Talkrunden und Feuilletons viel über Eliteuniversitäten, Spitzenforschung und ihre Voraussetzungen diskutiert. Dabei wird oft gefragt: Welche Rahmenbedingungen benötigen Spitzenforschung und innovative Wissenschaft in Deutschland? Konsens herrscht hierzulande über den materiellen Aspekt. Schließlich sind wir noch weit von dem Ziel entfernt, drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Forschung aufzuwenden, wie dies bereits in anderen Ländern der Fall ist. Fazit: Die Wissenschaft in Deutschland ist unterfinanziert. Wer Innovationen will, muss hier also eingreifen. Doch wie steht es um die immateriellen Bedingungen für die Forschung? Ist Deutschland überhaupt ein forschungsfreundliches Land? Nehmen wir das Beispiel Gentechnik. Vor fast 30 Jahren fanden Forscher heraus, dass man das Erbmaterial von Organismen - Bakterien, Pflanzen, Tieren - isolieren und im Labor gezielt verändern kann. Von dieser Innovation, für die recht bald mehrere Nobelpreise vergeben wurden, haben viele profitiert: die Wissenschaft, weil grundlegende Lebensprozesse besser analysierbar wurden, die Wirtschaft und nicht zuletzt die praktische Medizin, weil neue, sichere Medikamente, etwa das Humaninsulin entwickelt werden konnten. Die medizinisch relevante Genforschung, salopp als "rote Gentechnik" bezeichnet, ist alles in allem eine Erfolgsgeschichte. Zu Beginn der neuen Ära der Gentechnik wurde auch über Risiken, etwa die Entstehung neuer Krankheitserreger, debattiert. Deshalb verständigten sich Wissenschaftler auf ein "Moratorium", an dessen Ende Regularien standen, die gentechnisch veränderte Organismen in verschiedene Risikoklassen unterteilten, für die jeweils bestimmte Arbeitsbedingungen gültig sind. Diese Regularien haben sich bewährt. Die rote Gentechnik hat sich nicht nur als eine äußerst effiziente, sondern auch als eine sichere Technologie erwiesen. Weltweit, auch in Deutschland, ist die Akzeptanz für diese Technik gewachsen, so dass die Gesetzgebung im Laufe der Zeit liberalisiert wurde, was zu relativ verlässlichen Rahmenbedingungen geführt hat. Neben der roten Gentechnik hat sich eine "grüne Gentechnik" entwickelt, in deren Mittelpunkt die Forschung mit gentechnisch veränderten oder "transgenen" Pflanzen steht. Mittlerweile sind weltweit fast 70 Millionen Hektar Fläche mit gentechnisch veränderten Pflanzen registriert worden. Dies entspricht einer Fläche doppelt so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Mit den Verfahren der grünen Gentechnik werden neue Sorten von Nutzpflanzen gezüchtet, die resistent gegen bestimmte Krankheitserreger beziehungsweise gegen Insektenbekämpfungsmittel sind, oder die neue Inhaltsstoffe, zum Beispiel Vitamine oder Eiweiße, bilden. Mittels transgener Pflanzen lässt sich deshalb oft kostengünstiger und mit weniger Pflanzenschutzmitteln produzieren. In den USA beläuft sich die Ernte von transgenen Sorten bei Mais, Baumwolle oder Sojabohnen schon auf über 50 Prozent. Während in vielen außereuropäischen Ländern gentechnisch veränderte Pflanzen in großem Umfang angebaut werden, gibt es in Europa nach wie vor erhebliche Vorbehalte gegen "genefood". Worum geht es nun in der Forschung bei der grünen Gentechnik? Mit Hilfe gentechnisch veränderter Pflanzen lassen sich zahlreiche wissenschaftlich höchst interessante und relevante Fragen beantworten. So wird etwa das Entstehen von Pflanzenkrankheiten erforscht. Nach wie vor werden große Teile der Ernte von Pflanzenschädlingen vernichtet, man denke nur an die Reblaus, die Weinreben angreift, oder an den Mehltau, der Getreide zerstören kann. Das Wissen um die Mechanismen dieser Pflanzenkrankheiten kann zur Entwicklung neuer und resistenterer Arten beitragen. Man kann aber auch studieren, wie sich Pflanzen entwickeln, wie zum Beispiel aus einem Keimling unterschiedliche Gewebe entstehen. Aber auch Probleme des Stoffwechsels von Pflanzen können analysiert werden. So verwundert es nicht, dass über 30 Prozent aller so genannten "Freisetzungen" von transgenen Pflanzen in Deutschland von wissenschaftlichen Instituten, etwa der Max-Planck-Gesellschaft, den Universitäten oder der Leibniz-Gemeinschaft vorgenommen werden. Viele dieser Projekte werden auch von der DFG gefördert. Wie zuvor bei der "roten" werden auch bei der "grünen" Gentechnik Risiken diskutiert: von der Möglichkeit des Überspringens vermeintlich "schädlicher" Gene auf Wildpflanzen bis hin zu der Vermutung, gentechnisch veränderte Pflanzen könnten gesundheitliche Probleme beim Menschen auslösen. Viele dieser Szenarien beruhen allerdings nur auf Mutmaßungen und werden nicht durch die Erfahruungen beim großräumigen Anbau im Ausland gedeckt. Dennoch gab es für bestimmte Bereiche der grünen Gentechnik in der EU ein "Moratorium", das inzwischen ausgelaufen ist. In der Bundesrepublik wird momentan eine allgemein gefasste Richtlinie der EU in deutsches Recht umgesetzt. Der deutsche Gesetzesentwurf wurde mittlerweile vom Bundeskabinett verabschiedet und dem Bundestag sowie dem Bundesrat zugeleitet. Kürzlich hat auch eine erste Anhörung stattgefunden. Angesichts der großen Bedeutung der grünen Gentechnik für die Wissenschaft sind die Erwartungen an das neue Gesetz groß. Vor allem richten sich diese auf die Etablierung verlässlicher Rahmenbedingungen. Ob dieses Ziel mit dem neuen "Gentechnikgesetz" erreicht werden kann, ist jedoch mehr als fraglich. Aus Sicht der Deutschen Forschungsgemeinschaft liegt dies an zwei zentralen Punkten: Zum einen ist es ein Anliegen des neuen Gentechnikrechts, ein "Eindringen" von gentechnisch veränderten Pflanzen ins konventionelle Saatgut zu verhindern. Dabei spielt überhaupt keine Rolle, ob die transgenen Pflanzen von den Zulassungs- behörden als unbedenklich eingestuft wurden. Allein die Tatsache, dass es zu Übertragungen von gentechnisch veränderten Pflanzen kommt, wird berücksichtigt. Und der Anwender muss haften, wenn ein bestimmter Schwellenwert an transgenen Pflanzen überschritten wird. Dies gilt für kommerzielle Produzenten, aber auch für Wissenschaftler. Damit ist klar: Sollte diese Haftungsregelung in Kraft treten, würde die faktische "Innovation" auf dem Gebiet der grünen Gentechnik darin bestehen, dass diese Arbeiten künftig außerhalb Deutschlands stattfinden. Es bleibt zu hoffen, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, bei dem Bundestag und Bundesrat zustimmen müssen, eine Regelung gefunden wird, die den Anliegen der Wissenschaft ebenso Rechnung trägt wie denen der Landwirtschaft. Noch ein zweiter Punkt ist wichtig: die Anmeldungsund Genehmigungsprozeduren werden aufwendiger und nicht unbürokratischer. Statt schlankere Strukturen zu schaffen, wird die "Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit", die sich sehr bewährt hat, neu strukturiert und quasi verdoppelt. Darüber hinaus werden das Antragsprozedere und die begleitenden Protokollierungen aufwendiger als bisher. Das heißt unter dem Strich: statt Verschlankung und Entbürokratisierung mehr Kommissionen und mehr unproduktive Schreibtischarbeit! Auch hier erwartet die Wissenschaft, dass das Gesetzgebungsverfahren Verbesserungen erbringen wird. Es stellt sich also die Frage: Ist Deutschland ein Land, das Innovationen auch auf dem Gebiet der Gentechnik will, oder werden einseitig die Risiken in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt? Wird die grüne Gentechnik unter Generalverdacht gestellt oder können Wissenschaftler mit einem Vertrauensvorschuss rechnen? Gilt die grundgesetzlich geschützte Forschungsfreiheit auch für die grüne Gentechnik? Auch von der Beantwortung dieser Fragen wird abhängen, ob 2004 als "Jahr der Innovation" im Gedächtnis bleiben wird. Prof. Dr. Jörg H. Hacker Jörg Hinrich Hacker, Professor für Molekulare Infektionsbiologie an der Universität Würzburg, ist Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Das Präsidium der DFG setzt sich zusammen aus dem Präsidenten und acht Vizepräsidenten sowie dem Vorsitzenden des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft.

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