Article,

Tagezeitungen Schlichtweg verschlafen

.
WirtschaftsWoche, (Jul 4, 2002)

Abstract

TAGESZEITUNGEN Schlichtweg verschlafen WirtschaftsWoche NR. 028 VOM 04.07.2002 SEITE 072 Junge Leser meiden die wenig witzige Zeitungslektüre, Infos und Inserate suchen sie im Internet. Deutschlands Zeitungsverleger dürften sich zurzeit fühlen wie Oliver Kahn im Finale von Yokohama: Eben noch für unbesiegbar gehalten, zeigen sie plötzlich unerwartete Schwächen. Da müssen kleine Blätter ganz das Spielfeld räumen – wie jüngst die "Honnefer Volkszeitung". Da werden Zeitungen von einem Tag auf den anderen von der Konkurrenz geschluckt – wie im Februar die "Hessisch Niedersächsische Allgemeine" durch die Verlagsgruppe Ippen (unter anderem "Münchner Merkur"). Da schreibt ein Großverlag wie die Axel Springer AG ("Bild", "Die Welt") mit einem Minus von 198 Millionen Euro erstmals in seiner Geschichte Verluste. "Sparen, schließen, schassen," so fasst die Wochenzeitung "Die Zeit" die Reaktionen auf die Krise zusammen. Lange konnten Supergeschäftsergebnisse über die Strukturprobleme der Branche hinwegtäuschen. In der konjunkturellen Talfahrt allerdings werden die Schwachpunkte offenbar: Dringend benötigter, junger Lesernachwuchs informiert sich lieber im Internet – und auch die Inserate sind in den vergangenen Jahren ins Web gewandert. Offenkundige Trends, vor denen die Verlagsmanager lange die Augen verschlossen – statt beherzt zu handeln. Jetzt reagieren sie panisch: mit Massenentlassungen. Viele Jahre kannten die stolz präsentierten Umsatzkurven nur eine Richtung: Steil aufwärts. Allein von 1998 bis 2000 stiegen die Werbeumsätze von 5,9 Milliarden Euro auf 6,6 Milliarden Euro. Jeder Verlag – ob groß, ob klein – fand sein Auskommen. Folge des Booms: Die Zeitungsumfänge stiegen, die Redaktionen wuchsen. Die Feierlaune ist den Verlegern längst gründlich vergangen. Im Krisenjahr 2001 schmolzen die Netto-Werbeerlöse um 914 Millionen Euro auf 5,6 Milliarden Euro – ein Minus von 14 Prozent (siehe Grafik). Alle hofften auf Erholung, aber die ersten Monate dieses Jahres wurden – vor allem für die überregionalen Tageszeitungen – noch fürchterlicher, die Anzeigenerlöse schrumpften gleich um 30 Prozent. Vor allem das lukrative Geschäft mit den Stellenanzeigen ging dramatisch zurück: bei "FAZ" und "Süddeutscher Zeitung" bis Mai um über 50 Prozent. Auch bei den regionalen und lokalen Zeitungen brachen die Stellenmärkte weiter ein – im ersten Quartal um 45 Prozent. Auch wenn Zeitungsmanager jetzt gern die lahmende Wirtschaft für die Krise verantwortlich machen wollen: Die Ursachen liegen tiefer. "Die Zeitungen haben tief greifende Strukturprobleme", sagt der auf die Medienwirtschaft spezialisierte Berater Peter Kirchner von Kirchner + Robrecht Management Consultants. "Die Verlage haben kein Rezept gegen die Reichweitenverluste bei jüngeren Lesern gefunden, sie haben das Internet unterschätzt, und sie haben es versäumt, ihren Lesern und Werbekunden innovative Produkte anzubieten, die die Zeitung mit anderen Medien vernetzen." Solange der Konjunkturmotor auf Hochtouren lief, wurden die Probleme vom Boom überlagert. Doch bei näherem Hinsehen stellt sich heraus: Die Gesamtauflage der deutschen Zeitungen sinkt seit Jahren kontinuierlich. Von einem Hoch von 26 Millionen im Jahre 1992 auf 23,9 Millionen im Jahr 2000 (siehe Grafik). Besonders in den für die Werbung attraktiven jüngeren Zielgruppen verlieren die Verlage Leser. Lasen 1991 noch 76,4 Prozent der 20- bis 29-Jährigen Zeitung, so waren es 2001 nur noch 66,1 Prozent. Die Ursachen dieser Entwicklung sind vielfältig: Neue Medienangebote nehmen das knappe Zeitbudget der Leser in Beschlag. Der Zeitpunkt der Familiengründung – typischer Starttermin für ein Zeitungsabonnement – verschiebt sich nach hinten. Vor allem aber, so Rüdiger Schulz vom Institut für Demoskopie Allensbach, wird die Zeitung von jungen Leuten als "zu wenig unterhaltend und zu wenig witzig" empfunden. Außerdem, so fand Schulz in einer Studie für den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) heraus, empfinden jüngere Leser Zeitungen oft als zu ausführlich und die Lektüre als zu schwierig – Pisa lässt grüßen. An der Attraktivität des Mediums Internet können die Tageszeitungen kaum partizipieren: Unter den Angeboten bei den General-Interest-Sites belegt bei der Nutzung nur Bild.de einen Spitzenplatz, WebAngebote wie das der "Süddeutschen Zeitung" oder der "Welt" landen auf den hinteren Rängen (siehe Grafik). "Dabei könnten die Zeitungen im Netz", so Berater Kirchner, "gerade für jüngere Nutzer attraktive Angebote schaffen, die diese Zielgruppe an die jeweilige Zeitungsmarke binden und so zum Printangebot hinüberleiten." Stattdessen wollen die Zeitungen die Nutzer im Web nun zur Kasse bitten – Cash for content heißt die neue Zauberformel. Doch zwei Probleme plagen die Verlage: n Niemand weiß, ob die User tatsächlich bereit sind, für Sportergebnisse, Kinotermine oder einen Onlinechat mit einem Prominenten Geld zu bezahlen, wenn die nächste Gratisinformation nur einen Klick entfernt ist. n Bisher gibt es noch keine allgemein akzeptierten Bezahlverfahren, die dem Nutzer gleichzeitig Bequemlichkeit und Sicherheit garantieren. So bleibt denn auch die Prognose von Peter Würtenberger, Vorstandsvorsitzender von Bild.T-Online.de, einem Joint Venture des Boulevardblatts mit T-Online, eher vage: "Mittelfristig rechnen wir damit, durch den Verkauf von Internetinhalten zehn Prozent unserer Erlöse zu erwirtschaften." Auch bei den Rubrikenmärkten – Stellen, Auto, Immobilien – bieten die Zeitungen eine offene Flanke. Als hier branchenfremde Unternehmen wie die Jobbörse monster.com auftauchten, reagierten sie spät und zögernd. Selbst bei einer Konjunkturerholung rechnet niemand damit, dass sich das Geschäft der Zeitungen auf diesem Feld wieder zu alten Höhen aufschwingen wird. Und noch fehlt den Verlegern offenbar die passende Antwort auf diese Entwicklung. Erich Schumann, Geschäftsführender Gesellschafter der WAZ-Mediengruppe ("Westdeutsche Allgemeine Zeitung") gibt unumwunden zu: "Wir haben die Umwälzungen auf diesem Gebiet schlichtweg verschlafen." Bildunterschrift:Tageszeitungen Netto-Werbeumsätz, Auflagenentwicklung, Position unter den General-Interest-Sites (Grafik) Land:Bundesrepublik Deutschland C4EUGE Länderfacette:Medien Themen:Presse nach Sparte-Zeitung Branche:Zeitungen P2711

Tags

Users

  • @hillf

Comments and Reviews