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Nicht-traditionelle Studierende in Deutschland: Werdegänge und Studienmotivation – Ergebnisse eines empirischen Forschungsprojektes

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chapter 2, page 11-33. W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld, (2015)

Abstract

Der Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) zum Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber aus dem Jahr 2009 eröffnete Berufstätigen, die nicht über eine herkömmliche schulische Studienberechtigung verfügen (im Folgenden als nicht-traditionelle Studierende bezeichnet, vgl. dazu Abschnitt 2), formale Erleichterungen bei der Studienaufnahme. Solche Zugangswege, oft unter dem Begriff des Dritten Bildungswegs zusammengefasst, hat es in vielen Bundesländern auch schon vorher in zahlreichen Varianten gegeben. Die KMK-Entscheidung führte zu einer Art bundesweiter Rahmenordnung und brachte insbesondere für Absolventinnen und Absolventen beruflicher Fortbildungsprüfungen eine formale Gleichrangigkeit ihres Abschlusses mit der allgemeinen Hochschulreife. Gleichwohl gibt es in den Ländern noch immer unterschiedliche Regelungen (Ulbricht 2012; Duong/Püttmann 2014; Dahm/Kamm/Kerst/Otto/Wolter 2013). Die maßgeblichen Motive für diese bereits vor dem KMK-Beschluss eingeleitete Öffnungspolitik bestehen in der Befürchtung eines langfristig einsetzenden, demografisch bedingten Rückgangs der Studiennachfrage, der durch die Rekrutierung neuer Zielgruppen gleichsam kompensiert werden soll, des Weiteren in einem – ebenfalls aus demografischen Gründen befürchteten – Angebotsdefizit hochqualifizierter Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt sowie in europaweiten bildungspolitischen Bestrebungen (z. B. im Rahmen des Bologna- oder des Kopenhagen-Prozesses), Hochschulen stärker für „lifelong learners“ zu öffnen („recognition of prior learning“) (Banscherus 2010). Eine wichtige Rolle spielen auch die Bestrebungen von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, der beruflichen Aus- und Fortbildung eine höhere Anerkennung zu verschaffen und insbesondere die Attraktivität beruflicher Bildung zu erhöhen. Dabei spielt auch das stark veränderte Bildungsverhalten in der jungen Generation eine Rolle. Das damit verbundene bildungspolitische Ziel wird in der Regel unter dem Signum „größere Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung“ zusammengefasst. Mehrere Initiativen und Maßnahmen sind von politischer Seite ergriffen worden, um die formale Öffnung der Hochschulen in der Hochschulpraxis wirksam werden zu lassen. Diese Bemühungen schlagen sich bislang in der Studierendenstatistik nur verhalten nieder. Gemessen an der Gesamtheit aller Neuimmatrikulierten stellen nicht-traditionelle Studienanfängerinnen und Studienanfänger mit 3 % eine weiterhin marginale Gruppe dar, auch wenn ihr Anteil in den letzten Jahren größer geworden ist (Dahm/Kerst 2013; Wolter/Banscherus/Kamm/Otto/Spexard 2014). So stellt sich die Frage, wie sich die noch kleine Gruppe, die diesen nicht-traditionellen Weg an die Hochschulen geht, nach verschiedenen soziodemografischen Merkmalen zusammensetzt, welche Lebensverläufe und Vorbildung nicht-traditionelle Studierende vor dem Studium aufweisen, und welche Motive mit der Studienentscheidung verbunden sind. Diese Fragen stehen im Zentrum des Beitrags. Sie sind bildungspolitisch in höchstem Maße relevant, weil eine informierte Diskussion über die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung einen detaillierten Blick auf die vorakademischen Werdegänge von nicht-traditionellen Studierenden paradigmatisch einfordert. Ihre Bedeutsamkeit ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass von den Gegnern einer Öffnung des Hochschulzugangs für Berufstätige immer wieder der Einwand geäußert wird, diese Studierenden würden Vorbildungsdefizite aufweisen, die sie für ein Studium als nicht geeignet erscheinen lassen. Die Datengrundlage für die in diesem Beitrag präsentierten empirischen Befunde bildet das Forschungsprojekt „Nicht-traditionelle Studierende“, das neben einer Auswertung der amtlichen Hochschulstatistik zwei zentrale Teiluntersuchungen umfasst: die Auswertung der Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) sowie eine qualitative Untersuchung zu den Bildungsbiografien und Studienverläufen nicht-traditioneller Studierender an deutschen Hochschulen.

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