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„Ich wollte einfach noch eine Stufe mehr“ - Vorakademische Werdegänge und Studienentscheidungen von nicht-traditionellen Studierenden und ihr Übergang in die Hochschule

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1, page 197-223. Waxmann Verlag GmbH, Steinfurter Straße 555, 48159 Münster, (2016)

Abstract

Das Lebenslange Lernen hat nicht zuletzt durch den Bologna- und den Kopenhagen-Prozess eine wachsende Bedeutung in der europäischen Bildungs- und Hochschulpolitik erhalten. In diesem Kontext ist das Ziel einer Öffnung der Hochschulen für neue Zielgruppen auch in Deutschland stärker in das öffentliche und politische Interesse gerückt. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei nicht-traditionellen Zugangswegen zum Studium zu (Wolter 2013a; Banscherus 2010; vgl. die Beiträge von Wolter/Banscherus und Spexard in diesem Band). Für diese Öffnungsstrategie haben vor allem arbeitsmarkt- und bildungspolitische Argumente eine zentrale Rolle gespielt. Vor dem Hintergrund demografischer Entwicklungen sowie eines anhaltenden Qualifikationsstrukturwandels soll mit der Erweiterung des Hochschulzugangs der gesellschaftliche Bedarf an akademisch qualifizierten Fachkräften gesichert werden. Darüber hinaus wird damit aus einer Ungleichheitsperspektive die Zielsetzung verbunden, durch die Ausweitung von Beteiligungschancen an Hochschulbildung (‚Widening Participation‘) soziale Disparitäten auszugleichen. Aus einer individuellen Perspektive sind lebenslange Lernprozesse im Hinblick auf persönliche und berufliche Selbstverwirklichung, Korrekturen bildungsbiografischer Entscheidungen sowie den Erhalt von Beschäftigungsfähigkeit und beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten von besonderer Bedeutung (Wolter 2013b; vgl. den Beitrag von Banscherus/Wolter in diesem Band). Mit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) aus dem Jahr 2009 zum Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung wurde in Deutschland ein wichtiges Signal zur Öffnung der Hochschulen gesetzt. Diesem Beschluss zufolge wird Absolventinnen und Absolventen einer beruflichen Aufstiegsfortbildung ohne weitere Voraussetzungen eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung zuerkannt. Darüber hinaus sollen Personen, die nach Abschluss einer anerkannten Berufsausbildung eine mehrjährige Berufspraxis nachweisen können, über eine fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung verfügen. Diese wird in der Regel über eine Eignungsfeststellungsprüfung erworben, möglich ist in bestimmten Fällen aber auch eine Zulassung ohne Zugangsprüfung oder – seltener – über ein Probestudium. Die konkrete Ausgestaltung der Voraussetzungen zum Hochschulzugang ohne schulische Studienberechtigung wird durch die Landeshochschulgesetze geregelt (vgl. den Beitrag von Banscherus/Neumerkel/Feichtenbeiner in diesem Band). Auch im Rahmen des Bund-Länder-Wettbewerbs Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen bilden beruflich Qualifizierte ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung beziehungsweise ‚nicht-traditionelle‘ Studierende eine der zentralen Zielgruppen. Für die Hochschulforschung, aber auch für die Hochschulen sind neben dem Studienverlauf und dem Studienerfolg nicht-traditioneller Studierender (vgl. den Beitrag von Dahm/Kerst in diesem Band) die vorakademischen Bildungs- und Berufsbiografien sowie die Übergänge in die Hochschule von Interesse. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die vorliegenden Befunde über diese Zielgruppe in aller Regel auf jene beruflich Qualifizierten beziehen, die den Übergang in die Hochschule bereits vollzogen haben, während die eigentliche Zielgruppe ungleich größer ist und über diesen – größeren – Teil des ‚KMK-Berechtigtenkreises‘ kaum Informationen vorliegen. Eine Abschätzung des tatsächlichen Umfangs dieser ‚neuen‘ Gruppe von Studienberechtigten ist allenfalls näherungsweise über die Zahl der Aus- und Fortbildungsabsolventinnen und -absolventen möglich. Der amtlichen Statistik zufolge haben beispielsweise allein im Jahr 2014 rund 98.700 Personen einen Fortbildungsabschluss, überwiegend im Handwerk sowie im Bereich Industrie und Handel, erworben (Statistisches Bundesamt 2015). Wenn man berücksichtigt, dass Fortbildungsabsolventinnen und -absolventen nur eine Teilmenge aller Studierenden des Dritten Bildungsweges ausmachen (und diese sich nicht nur aus einem Abschlussjahrgang rekrutieren), wird deutlich, dass nur ein Bruchteil der beruflich Qualifizierten ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung die Option zur akademischen Weiterqualifizierung nutzt und tatsächlich ein Hochschulstudium aufnimmt (Wolter/Geffers 2013). Daran schließt sich unter anderem die Frage nach den individuellen Motivlagen von nicht-traditionellen Studienanfängerinnen und -anfängern an, bei denen es sich möglicherweise um Personen handeln könnte, die sich entweder durch eine besonders hohe Leistungsfähigkeit und Motivation auszeichnet oder im Vorfeld der Studienentscheidung besonders starke (berufliche) Diskrepanz- und Frustrationserfahrungen gemacht hat. Hinsichtlich der näheren Charakterisierung von nicht-traditionellen Studierenden besteht insgesamt ein erheblicher Bedarf an empirischen Befunden, die zur Versachlichung der teilweise kontrovers geführten Diskussion um Motivationen, Bedürfnisse und Anforderungen dieser Studierendengruppe sowie die individuelle Studierfähigkeit und damit verbundene Kompetenzen und mögliche Defizite beitragen können. Diese Informationen spielen für die Entwicklung nachfrage- und adressatengerechter Studienangebote und flankierender struktureller Maßnahmen an Hochschulen eine wichtige Rolle (vgl. die Beiträge von Banscherus/Pickert/Neumerkel und Banscherus/Kamm/Otto in diesem Band). Um ein differenziertes und möglichst konsistentes Bild von der Zielgruppe nicht-traditioneller Studierender zu erhalten, liegen diesem Beitrag drei Fragestellungen zugrunde: 1. Wie lassen sich nicht-traditionelle Studierende anhand sozialstruktureller Merkmale sowie ihrer bildungs- und berufsbiografischen Werdegänge charakterisieren? 2. Welche Motive liegen der Studienentscheidung von nicht-traditionellen Studierenden zugrunde? 3. Wie gestaltet sich der Übergang in die Hochschule aus Sicht von nicht-traditionellen Studierenden und welche Zusammenhänge bestehen zwischen den beruflichen Vorerfahrungen und der Studienwahl? Zur Beantwortung dieser Fragen werden empirische Befunde aus dem bundesweit angelegten Forschungsprojekt Nicht-traditionelle Studierende zwischen Risikogruppe und akademischer Normalität präsentiert. Zunächst wird der aktuelle Stand der Forschung zu nicht-traditionellen Studierenden betrachtet (Abschnitt 2), bevor nach einigen methodischen Vorbemerkungen (Abschnitt 3) ausgewählte empirische Befunde (Abschnitt 4) vorgestellt werden. Auf Basis der amtlichen Hochschulstatistik wird in diesem Abschnitt zunächst ein Überblick über den Anteil nicht-traditioneller Studierender an den Hochschulen in Deutschland gegeben (4.1), anschließend werden auf der Grundlage qualitativer Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern dieser Studierendengruppe sowie Auswertungen des Nationalen Bildungspanels (NEPS) die vorakademischen Bildungs- und Berufsbiografien (4.2), die Studienmotive und Studienentscheidungen (4.3) sowie die spezifischen Erfahrungen dieser Personengruppe am Übergang in die Hochschule (4.4) nachgezeichnet und analysiert.

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