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Mythos Netz: Kommunikation jenseits von Raum und Zeit?

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Rotpunktverlag, Zürich, (2005)

Abstract

Thesen 1. Zusammenbruch der aufklärerischen Funktion von Technik: In der Moderne galt die Technik lange Zeit als ''die Zerstörerin jedes Glaubens überhaupt``, als ''die entschiedenste antichristliche Macht``. Dies mochte so sein, solange die Technik das aufklärerische Emanzipationsversprechen$-$als das Versprechen, Macht über das eigene Leben zu gewinnen$-$durch eine wachsende Beherrschung der Natur zu fundieren vermochte. Doch zuletzt schien$-$und dafür stehen die Schriften aus Ernst Jüngers nationalrevolutionärer Phase $-$ auch das nur noch m¨oglich um den Preis des Aufgehens im gesamtgesellschaftlichen Arbeitsk¨orper. Doch im Zeichen des ¨Ubergangs von der totalen Mobilmachung zur Zitadellenkultur , die sich durch die systematische Unterausnutzung ihrer Ressourcen auszeichnet, ist auch die M¨oglichkeit verschlossen, Macht zu gewinnen, indem man ein Teil wird. 2. Die Verzauberung der Technik: Sobald erkennbar wird, dass Herrschaft ¨uber die Natur sich weder unmittelbar in eine fortschreitende Emanzipation der Individuen, die Erfahrung von Macht ¨uber das Leben umsetzt, noch frei von Nebenwirkungen bleibt, verwandelt sich Technik selbst wiederum in Natur zur¨uck. Aus einem Werkzeug wird eine unbeherrschbare Macht. Das ihr ausgelieferte restmagische Bewußtsein reagiert darauf mit ihrer Verzauberung, d. h. es betrachtet Technik und den menschlichen Umgang mit ihr nicht anders als die unbeherrschte Natur. Aus der Identifikation mit der ¨uberm¨achtigen Technik geht oft ein enthusiastisches Bewusstsein hervor, das an pietistische Erweckungsbewegungen erinnert. 3. Verzauberung durch Dämonisierung: Die bevorzugten Objekte der Verzauberung von Technik sind deren fortgeschrittendste und am wenigsten verstandene Manifestationen: ''Ein . . . unkontrollierbares, selbstorganisierendes System``4 sieht etwa Patrick Illinger in einem Feuilletonbeitrag f¨ur die S¨uddeutsche Zeitung mit dem Internet entstehen. Der Begriff der Selbstorganisation, den Immanuel Kant5 entwickelt hat, um Organismen von Artefakten abzugrenzen, und den Humberto R. Maturana6 f¨ur die moderne Biologie wiederentdeckt hat, spielt in den d¨amonologischen Technikkonzepten eine Schl¨usselrolle. Ein Artefakt, das durch menschliches Handeln hervorgebracht, betrieben, unterhalten und genutzt wird, erscheint als eigenst¨andiger, ¨uber dem menschlichen Handeln stehender Superorganismus. Die Frage, was denn das Selbst sei, das sich da hervorbringe, wird nicht einmal gestellt. 2. J¨unger, 1932, 161 3. J¨unger, 1932, 161 4. Illinger 2003 5.Kant 1793, B292--293 6. Riegas, Vetter 1990, 38--42; Maturana, Varela 1987, 216--217 4. Verzauberung durch Vergöttlichung: Die n¨achste Stufe der Verzauberung von Technik ist ihre Verg¨ottichung: ''Das G¨ottliche ist heute das Netzwerk. Und Religion funktioniert als Endlosschleife``,7 so lautet etwa das Dekret von Norbert Bolz. Ein Artefakt wird zuerst zum D¨amon und dann zum anbetungsw¨urdigen Wesen bef¨ordert. Der Gott der Netzenthusiasten ¨ubernimmt dabei eine ¨ahnliche Funktion wie der g¨utige Gott der rationalistischen Metaphysik: ''Die kybernetische Umgestaltung der Lebenswelt auf Basis instanter Kommunikationsverbindungen tendiert zu einer Echtzeit in der Daten¨ubertragung, was die Rede der ¨Ubertragung von einem r¨aumlichen Punkt zu einem anderen irgendwann vollends sinnlos macht``.8 Gott ist allgegenw¨artig und vermittelt die isolierten Monaden miteinander. Norbert Bolz ist deshalb auch ¨uberzeugt, dass ''Massenmedien . . . eine instantane kommunikative Integration der Weltgesellschaft leisten``,9 Auch wenn Paul Virilio10 von der Echtzeit und der absoluten Geschwindigkeit schwadroniert, die mit dem Netz der Netze ¨uber uns gekommen seien, bewegt er sich auf diesen Gedankenlinien, die allerdings Lichtjahre von der physikalischen, technischen und sozialen Realit¨at entfernt liegen. Auch im weit verbreiteten Glauben an die Unzerst¨orbarkeit und Unbeherrschbarkeit des Internet11 etwa durch einen Atomkrieg oder politische M¨achte spiegelt sich weniger eine rationale Einsch¨atzung als vielmehr das religi¨ose Verlangen nach einer unzerst¨orbaren Macht. 5. Cybergnosis als Vorspiel der Weltzerst¨orung: Unverkennbar ist die Tendenz, die verg¨ottlichte Technik als zweite Natur an die Stelle der ersten zu setzen. Das ist der Inhalt des Begriffs Cyberspace: George Gilder sieht die Menschen im neuen Telekosmos als engelsgleiche Wesen, die Raum und Zeit ¨uberwinden,12 um schließlich ihr Leben in ''Kathedralen von Licht und Luft`` zu f¨uhren.13 Das Cyberspace--Manifest von Dyson, Gilder, Keyworth und Toffler erkl¨art den Sturz der Materie sogar zu dem zentralen Ereignis des 20. Jahrhunderts.14 Wenn Kevin Kelly, neben Gilder einer der prominentesten Verk¨under einer neuen, aus der Internetwirtschaft geborenen Spiritualit¨at15 meint, Materie sei beinahe ''umsonst``16, dann heißt das so viel wie ''wertlos`` und schließt die physische Existenz der Menschen ein. ''Unsere Welt . . . ist nicht dort, wo K¨orper leben``,17 sekundiert Kellys Bruder im Geiste, der Rock-- und Cyber--Poet John Perry Barlow. So h¨ort sich ein Programm der Weltzerst¨orung an. 7.Bolz 1996, 147 8.Hartmann 1996, 56 9.Bolz 1994, 144 10. Virilio 1996 11. etwa bei Freyermuth 1996, 35--39; Illinger 2003 12. Gilder 2002, 4 13. Gilder 2002, 262 14.Dyson, Gilder, Keyworth, Toffler 1994 15. Kelly 1994, 202 16. Kelly 1994, 125 17. Barlow 1996 6. Verdummung durch Cyberreligion: Im Netz erscheine der neuen Technoreligion zufolge eine g¨ottlicher, globaler Geist. Die Ratschl¨usse dieser neuen Gottheit l¨agen nach Auskunft ihrer Verk¨under jedoch außerhalb menschlicher Rationalit ¨at. Auch der neue Netzgott ist ein Deus absconditus. ''Die besonderen Gedanken des globalen Geistes$-$und seine darauf folgenden Handlungen$-$werden außerhalb unserer Kontrolle und jenseits unseres Verst¨andnisses sein. Folglich werden Netzwerk-- ¨Okonomien eine neue Spiritualit¨at hervorbringen``.18 Da das Netz und der Markt letzten Endes identisch seien,19 sind der Gehorsam gegen den Geist und das Einverst¨andnis mit dem Markt ein und dasselbe. Die neue Cyberreligion ersch¨opft sich in der Rechtfertigung des Gegebenen. Sie ist voll Neoliberalismuskompatibel.7. G¨otzendienst als Religion: Kirchenvertreter neigen angesichts unserer s¨akularisierten Welt oft dazu, ¨Außerungen religi¨oser Bed¨urfnisse freudig zu begr¨ußen. Sie sollten allerdings im vorliegenden Fall genau bedenken, womit sie es hier zu tun haben. Dies umso mehr, als diese Welt sich wiederum mit einer Vielzahl von vormonotheistischen Religionsformen f¨ullt. Gemessen am Selbstverst¨andnis der heutigen monotheistischen Religionen, die ja selbst schon St¨uck Aufkl¨arung repr¨asentieren, ist die Cyberreligion G¨otzendienst. Ein G¨otzendienst allerdings, der in weiten Kreisen schon den Status einer praktizierten Alltagsreligion angenommen hat und zudem die Spiritualit¨atsformen des alten Christentums t¨auschend imitiert. 18. Kelly 1994, 201--202 ¨Ubersetzung des Autors 19. Kelly 1994, 27 5.10.2005

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