Ich sollte eigentlich schon daran gewöhnt sein, aber man kann seine Konditionierung aus der Kindheit nicht so einfach ablegen. Ich komme aus einem kleinen Land, wo man die echte Welt irgendwo jenseits der Grenzen vermutet. Wo alles nicht so richtig zählt und man sich über dem Hochnebel eine Käseglocke dazu denkt, an der ein jeder über das Weltenrund gewehter Shitstorm schon irgendwie hängenbleiben wird. Sicher, es wird schattiger sein, aber das Hemd bleibt sauber. +++
Seit einiger Zeit hab ich trotzdem gelernt, den X-Factor auf perverse Weise zu schätzen. Am Ende einer Dekade, in der die Nischenvermarktung triumphiert hat und selbst die logische Gegenreaktion der Bejahung des Mainstream durch das Nischenpublikum (Phänomene wie Timberlake oder Gaga) sich schon wieder totgelaufen hat, braucht es nämlich das durch und durch Falsche, von dem es sich demonstrativ abgrenzen lässt, ein augenscheinliches Beispiel für den Unterschied zwischen lebendiger Popkultur und verordnetem Entertainment. ++++
Was wiederum den Kreis zu einer neulich hier von Kollege Schmid zusammengefassten Debatte über das vorgebliche Ende der Plattenrezension schließt. Forsters Buch (ironisches Detail: seinen allerersten Artikel schrieb er einst für die Spex) ist ein hervorragendes Plädoyer für den Wert der Rezension, das klar macht, dass die Krise des Formats nicht die des vermeintlich obsoleten Albums, sondern die der Rezension selbst ist. Forster kommt großteils ohne faule Referenzen-Aufzählungen aus, er nimmt seinen Stoff so ernst, als wäre er sein eigener, lässt nichts durchgehen, das nicht mehr als bloß okay ist, weckt Neugier auf Zeug, zu dem ich mich von keinem Scrobbler der Welt hinführen hätte lassen, und er nützt sein Zusatzwissen als aktiver Musiker, ohne sich je auch nur im Entferntesten auf Insider-Szene-Geschwätz einzulassen. Jedesmal wenn die Schlichtheit in Banalität umzuschlagen droht, schnalzt er mit der gleichen Unaufgeregtheit eine tiefe Weisheit auf den Tisch.