Solon und Kroisos
Erstes Buch, Kapitel 28/34
Als einige Zeit vergangen war und fast alle, die diesseits des Halysflusses wohnten, unterworfen waren, denn außer den Kilikern und Lykiern hatte Kroisos die andern alle unterworfen und in seiner Hand - und dies sind die Namen: Lyder, Phryger, Myser, Mariandyner, Chalyber, Paphlagonen, Thraker, und zwar die thynischen und bithynischen, Karer, Jonier, Dorer, Aioler, Pamphyler - als die also unterworfen waren und den Lydern zugeschlagen, kommen nach Sardes, das reich ist und blühend, all die andern klugen Männer aus Hellas, die zu jener Zeit lebten, bald der und bald jener, und so denn auch Solon aus Athen. Der hatte den Athenern auf ihr Geheiß Gesetze gegeben und ging nun zehn Jahre außer Landes und machte eine Reise, um zu schauen und zu lernen; eigentlich aber, damit er nicht genötigt werden könne, eines oder das andere der Gesetze, die er gegeben, wieder aufzuheben. Denn den Athenern selber war es nicht möglich, das zu tun; sie waren nämlich durch starke Eide gebunden, zehn Jahre lang die Gesetze, die Solon ihnen geben würde, anzuwenden. Deswegen also und des Schauens wegen ging Solon außer Landes und kam nach Ägypten zu Amasis und dann also auch nach Sardes zu Kroisos. Und als er angekommen, wurde er von Kroisos im Palast gastlich bewirtet. Sodann, am dritten oder vierten Tage, führten die Diener den Solon auf Kroisos' Geheiß in den Schatzkammern umher und zeigten ihm all die Pracht und Herrlichkeit. Als er nun das alles gesehen und nach Lust und Laune betrachtet hatte, stellte Kroisos folgende Frage: «Mein Gastfreund aus Athen - man hat uns nämlich schon viel über dich erzählt, von deiner Klugheit und deinem Umherreisen, daß du aus Freude am Wissen viele Länder besucht hast, um sie dir anzusehen. Jetzt ist mich nun das Verlangen angekommen, dich zu fragen, ob du den schon gesehen, der der glücklichste aller Menschen ist.» Das fragte er in der Erwartung, selbst der glücklichste der Menschen zu sein. Solon aber redet ihm nicht nach dem Mund, sondern hält sich an die Sache und spricht: «Hoher König, Tellos aus Athen.» Kroisos nahm diese Antwort wunder, und er fragte gespannt: «Und weswegen hältst du Tellos für den glücklichsten?» Und der sagte: «Zum ersten hatte Tellos in einer Stadt, die sich wohl befand, vortreffliche Kinder und durfte sehen, daß auch sie alle Kinder bekamen und alle am Leben blieben. Zum andern wurde ihm - bei gutem Auskommen, jedenfalls nach unsern Verhältnissen - das herrlichste Ende des Lebens zuteil. Denn als die Athener bei Eleusis einen Kampf gegen ihre Nachbarn zu bestehen hatten, kam er zu Hilfe und bewirkte die Flucht der Feinde, und dabei fand er den schönsten Tod, und die Athener richteten ihm ein Staatsbegräbnis aus, dort, wo er gefallen war, und erwiesen ihm große Ehre.»