"Der fiktive Staat Ozeanien möchte die Telekommunikation seiner Bürger überwachen": Wie die Universität Hannover einem Skandal entging, George Orwell Recht behielt und ein Professor seine Informatik-Studenten foppte
Bürgerrechtler sehen mit den "Information Fusion Centers" der Sicherheitsbehörden in den USA den kafkaesken Albtraum wahr werden, dass "Beweise" für das Begehen von Verbrechen rund um geringfügige Verdachtsmomente konstruiert werden. Strafverfolger würden mit Hilfe der zentralen Datenbankeinrichtungen Indizien für ein Vergehen schon bei einer leisen Ahnung in Kooperation etwa mit Banken, Vermietern oder Internetprovidern zusammentragen, erläuterte Mike German, Justiziar bei der American Civil Liberties Union (ACLU), die Funktionsweise des von der US-Regierung vorangetriebenen Sicherheitsprojekts auf der Konferenz "Computers, Freedom, and Privacy 2008" (CFP) in New Haven.
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Das US-Department of Homeland Security (DHS) hat 2004 im Rahmen des Kampfs gegen den Terror angefangen, Zentren für die Sammlung umfangreicher Dossiers über Bürger einzulegen. Inzwischen gibt es nach Angaben der Behörde 58 solcher Datensammelstätten, die erst seit kurzem im Blickpunkt einer breiteren Öffentlichkeit stehen. Ziel der computergestützten Verschmelzungsanlagen ist nicht nur die Intensivierung des Informationsaustauschs zwischen lokalen, staatlichen und bundesstaatlichen Behörden aller Art sowie auch dem Militär. Vielmehr geht es auch um die Verknüpfung der dort angehäuften personenbezogenen Daten mit den Informationshalden privater Auskunfteien sowie anderer kommerzieller Datenjäger.
In 34 Städten haben bis zum frühen Abend Tausende Bürger an einem Aktionstag unter dem Motto "Freiheit statt Angst" teilgenommen. Aufgerufen zu den friedlichen Protesten etwa gegen die im Rahmen des Telekom-Bespitzelungsskandals an Aktualität gewinnende verdachtslose Protokollierung der Telefon- und Internetdaten, die heimliche Online-Durchsuchung, biometrische Ausweisdokumente oder die elektronische Gesundheitskarte hatte der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Obwohl das Wetter vor allem im Norden und Osten bei Temperaturen über 30 Grad und strahlendem Sonnenschein eher zum Baden lockte, gingen die Menschen in vielen Großstädten auf die Straße oder brachten sich bundesweit auf Straßenfesten oder bei Kunstaktionen ein.
Die größte Versammlung war die Kundgebung in München, wo rund 2500 Menschen auch gegen den Entwurf eines neuen "Versammlungsverhinderungsgesetzes" der Regierung des Freistaates anliefen. In Frankfurt demonstrierten den Organisatoren nach rund 1000 Menschen, in Hamburg 500 und in Bielefeld 400. In Nürnberg stellten die Aktivisten ein ganzes Wohnzimmer in eine Fußgängerzone – als Zeichen der ausgehebelten Privatsphäre. In Jena machten sie mit der Installationen überdimensionaler Kameras auf die ihrer Ansicht nach ausufernde Überwachung aufmerksam. In einem Sarg trugen Demonstranten das Grundgesetz in Heidelberg zu Grabe.
Oftmals stecken nicht anonyme Hacker, sondern die eigenen Geschäftspartner hinter Datenmissbrauch in Unternehmen und Behörden. Zu diesem Ergebnis kommt der "Data Breach Investigations Report 2008". Er umfasst einen Zeitraum von vier Jahren und mehr als 500 forensische Untersuchungen anhand von 230 Millionen Datensätzen. Die von Verizon Business Security Solutions durchgeführte Studie stellte fest, dass 73 Prozent der Verstöße von externen Quellen ausgingen, bei 18 Prozent handelte es sich um Bedrohungen von innen. Dabei stammten 39 Prozent der externen Angriffe von Geschäftspartnern. Die Zahl solcher Angriffe hatte sich im Untersuchungszeitraum verfünffacht. Damit widerspricht die Studie anderen Untersuchungen, die in Insider-Angriffen die Hauptursache von Datenmissbrauch sehen.
Großbritannien hat seit 2004 Hunderten von Behörden und Kommunen mit dem Regulation of Investigatory Powers Act (RIPA) die Tür für umfassende Überwachungsmaßnahmen geöffnet. Bis hinunter zu kommunalen Behörden oder der Feuerwehr kann die Kommunikation ohne richterliche Genehmigung kontrolliert werden. Davon wird ausgiebig Gebrauch gemacht, auch wenn es sich keineswegs um schwere Verbrechen oder Terrorismus handelt. So werden Bürger schon aufgrund des Verdachts kleinster Vergehen beobachtet oder deren Kommunikation belauscht.
Die Bundesregierung hat neue Einzelheiten zur geplanten Bündelung der Telekommunikationsüberwachung bekannt gegeben. Die umstrittene Neustrukturierung soll ein technisches Service- und ein übergeordnetes Kompetenzzentrum umfassen, schreibt das federführende Bundesinnenministerium in einer jetzt veröffentlichten Antwort (PDF-Datei) auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen. In Ersterem sei beabsichtigt, gemeinsame Abhörtechnik für das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt (BKA) aufzubauen. Davon verspricht sich das Ministerium geringere Kosten, eine flexiblere und schnellere Anpassung an die sich mit dem Internet verändernde Übertragungstechnik und höhere Kapazitätsreserven.
In der Telekom-Bespitzelungsaffäre sind Berichten zufolge mehrere Journalisten zum Ziel von Ausforschungen geworden. Nach Informationen des Handelsblattes aus Ermittlerkreisen sollen Mitarbeiter der Telekom Telefonate von insgesamt fünf bis sechs Journalisten überprüft haben. Den Bonner Staatsanwalt Friedrich Apostel zitiert die Zeitung mit den Worten: "Wir wissen inzwischen, dass es kein Einzelfall war." Die Financial Times Deutschland und das Magazin Capital berichten, bei den Ermittlungen seien bereits drei Konzernmitarbeiter des Verstoßes gegen das Fernmeldegesetz überführt.
B. Kolany-Raiser, R. Heil, C. Orwat, and T. Hoeren (Eds.) Technikzukünfte, Wissenschaft und Gesellschaft / Futures of Technology, Science and Society Springer VS, Wiesbaden, (2018)
L. Schmidt, and D. Ley. Produkt- und Produktions-Ergonomie - Aufgabe für Entwickler und Planer: 54. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft (München 2008), page 445–448. Dortmund, GfA-Press, (2008)